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GERECHTIGKEIT IM ÖKO-LANDBAU | TEIL 4

„Druck in der Wertschöpfungskette wird nach unten weitergegeben“

Wie steht es um die Gerechtigkeit im Öko-Landbau? Trainees aus dem Programm Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft haben sich dazu für BioHandel umgehört. Für den vierten Teil der Interview-Reihe haben sie mit Jan Plagge gesprochen. Der Präsident von Bioland und IFOAM Organics Europe erklärt, warum Wertschöpfungsketten nur dann fair sind, wenn zwischen allen Partnern ein Gleichgewicht besteht.

Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit im Ökolandbau?

Mit Gerechtigkeit im Ökoland­bau verbinde ich den Anspruch, das Wirtschaften dem Gesamt­wohl zu unterstellen und das Wohlergehen des Einzelnen ohne Benachteiligung zu be­rücksichtigen. In der Ökobran­che ist dies besonders wichtig, weil sich unsere Praktiken am Schutz und Wiederaufbau unserer Lebensgrundlagen orientieren. Zu Gerechtigkeit gehört auch, allen den Zugang zu Bio-Lebensmitteln zu ermög­lichen und Bio-Produkte nicht als exklusive Marktschiene zu entwickeln.

Wo sehen Sie Brennpunkte innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette?

Missstände entstehen an allen Teilen der Wertschöpfungsket­te, wenn ein Machtungleich­gewicht zwischen den Partnern besteht. Ohne Korrektiv kann sich so ein dauerhaftes Un­gleichgewicht etablieren, das mit unseren Prinzipien in der Bio-Branche unvereinbar ist. Ein fiktives, aber realistisches Beispiel: Als große Molkerei be­sitze ich in einem Markt mit vie­len kleinen Milchviehbetrieben eine große Macht im Einkauf.

Als einzelner Milchviehbetrieb ist man in dieser Konstellation nahezu ohnmächtig, die eigene Situation zu beeinflussen – vor allem wenn man nicht über Erzeugergemeinschaften oder Verbände organisiert ist. Auf der anderen Seite befindet sich die Molkerei mit einem großen Händler vielleicht selbst in einem Machtungleichgewicht.

Ignoriert man diese Ungleich­gewichte, passiert das, was man aktuell häufig sieht: Die kleinen Partner in der Kette können nicht mehr kostendeckend wirtschaften – es kommt zum Höfesterben. Dabei entsteht automatisch eine Spirale nach unten, was Qualität, Ökologie und soziale Verantwortung angeht. Der Druck in der Wert­schöpfungskette wird nach un­ten weitergegeben und einzelne Landwirte befinden sich am unteren Ende in der schwächs­ten Position.

Was sind die größten Herausforderungen auf Verbandsebene?

Bei Bioland haben wir als größte Herausforderung er­kannt, dass wir alle mit in die Verantwortung nehmen müssen. Die reine Anklage und Schuldzuweisungen ändern nichts am System und wir al­lein tun dies auch nicht. Um überhaupt Brennpunkte be­schreiben zu können, müssen wir die Situation zwischen den Partnern auf der gesamten Wertschöpfungskette trans­parenter machen und hinter die Mechanismen schauen. Daraus ergibt sich der Versuch, gemeinsam festgelegte ketten­übergreifende Regeln einzu­führen, die alle mitzeichnen und einzuhalten haben, sowie die Schaffung eines Korrektivs in Form einer Kontroll- und Beschwerdeinstanz.

Schuldzuweisungen ändern nichts am System.

Eine aktuelle Herausforderung besteht auch in der Frage, wie man faire Erzeuger- und Herstellerpreise an den Händler herantragen kann, ohne dass dadurch unfaire Verbraucher­preise entstehen. Diese Debatte hatten und haben wir auch im Rahmen unserer Zusammen­arbeit mit Lidl und anderen Marktpartnern: Wir wollen durch Beratung, Begleitung und Überwachung von Fair­play-Regeln langfristige Ver­träge, alternative Preissysteme und Kostentransparenz fördern und haben Handlungsinstru­mente dazu entwickelt.

Was wären konkrete Lösungsansätze oder -vorschläge?

Als Verband vertreten wir gegenüber unseren Partnern stets unsere Werte und Prinzi­pien und gehen in den Dialog, sollten diese nicht eingehalten werden. Die größte Heraus­forderung ist dabei, langfristige Beziehungen vertraglich auf­zubauen, welche gleichzeitig flexibel auf Schwankungen reagieren können. Das kann nur über Kollektive funktionieren. Als Kollektiv können wir dann auch über Konsequenzen ent­scheiden. Die Stärke solcher Kollektivmarken, wie Demeter, Naturland oder Bioland, ist in Deutschland im Vergleich zu änderen Ländern in Europa sehr ausgeprägt.

In der IFOAM haben wir uns vor allem auf die gesetzliche Lobbyarbeit zu Verordnungen oder Gesetzen konzentriert, wie zuletzt beim Gesetz der unlauteren Handelsbedin­gungen. Zudem fördern wir den Erfahrungsaustausch, um Regionen und Akteure darin zu bestärken, sich besser zu organisieren und zu kooperie­ren. In Osteuropa haben wir hier noch einen längeren Weg vor uns, da die Strukturen noch nicht so weit entwickelt sind. Während hingegen in Süd­europa zwar große Kollektive bestehen, diese aber nicht auf den Markt ausgerichtet sind.

Durch den grenzübergreifen­den Austausch können wir eine Transparenz und Dynamik erzeugen und so einem Macht­ungleichgewicht entgegen­wirken.

Durch den grenzübergreifen­den Austausch können wir eine Transparenz und Dynamik erzeugen und so einem Macht­ungleichgewicht entgegen­wirken. In Deutschland sind wir im Vergleich schon sehr weit, da die Landwirte bei uns gut organisiert sind und über Verbände eine Marktpolitik in den Wertschöpfungsketten umsetzen, die mehr Fairness und Augenhöhe gewährleistet. Das spiegelt sich auch in deut­lich höheren Erzeugerpreisen wider.

Also trägt die Verbandsviel­falt in Deutschland zur Fair­ness bei?

Sicherlich. Der Wettbewerb zwischen den Verbänden ist auch ein Leistungswettbewerb. Landwirte entscheiden sich für den Verband, bei dem sie den höchsten Mehrwert für sich sehen. Als Individuum kann Ge­rechtigkeit nicht funktionieren, da sie immer sehr stark von meiner eigenen Willkür und Situation abhängig ist. Daher muss das Thema an ein Kollek­tiv übertragen werden.

Wie kann die Ökobranche eine Vorreiterrolle für andere Wirtschaftsformen einnehmen?

Das Prinzip der Ökologie ist in Regeln übersetzt worden, vor allem in Anbaurichtlinien – weniger in Richtlinien für die Herstellung und den Handel. Im Bereich der Tiergesund­heit ist man schon recht weit. Im Bereich der Gerechtigkeit gibt es Ansätze, zum Beispiel die Etablierung verschiede­ner „Fair-Labels“. Eine Vor­reiterrolle kann man aber nur einnehmen, wenn man diese Ansätze weiterentwi­ckelt und man beispielsweise Fair-Preis-Mechanismen über die gesamte Wertschöpfungs­kette organisiert.

Was ist der wichtigste Hebel, um etwas zu verän­dern? Muss alles gesetzlich geregelt werden oder welche anderen Wege können be­schritten werden?

Gesetzlich geregelt werden kann immer nur ein Mindest­standard, der sich an der gelebten Praxis orientiert. Man kann nicht die ganze Ver­antwortung dem Staat über­lassen. Die Öko-Pioniere, auch im Bioland-Verband, haben es vorgemacht und sind über die Standards mit der Entwicklung eigener, kollektiver Regeln hinausgegangen. Nicht immer auf den Gesetzgeber zu warten, sondern eine eigene Regulie­rung zu schaffen, gibt die Mög­lichkeit, den weiteren Prozess selbst mitzugestalten.

Hintergrund zur Interviewreihe

Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts des 17. Traineeprogramms Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft setzt sich ein fünfköpfiges Team (Raphael Pierro, Carla Proetzel, Cathrin Bardenheuer, Laura Kehl und Katharina Tietz) mit dem Thema Gerechtigkeit in der Biobranche auseinander. Hintergrund ist das starke und schnelle Wachstum der Biobranche in den vergangenen Jahren – von einer Nische hin zu einem beachtlichen Wirtschaftssektor. Findet sich der Ursprungsgedanke der Gerechtigkeit, wie in den IFOAM-Prinzipien verankert, trotz des Wandels in der Branche wieder? Um verschiedene Perspektiven und den nötigen Handlungsbedarf aufzuzeigen sowie konstruktive Lösungsvorschläge zu erarbeiten, hat das Trainee-Teams einige Akteure und Akteurinnen aus den verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette befragt.

Weitere Interviews aus der Reihe:

„Es braucht viele starke Frauen, die ihr Ding machen“ - Teil 1 mit Landwirtin Anna Kenner

„Kooperationen mit dem LEH könnten der Gerechtigkeit dienen“ - Teil 2 mit VGS Bioland Geschäftsführerin Berenice Nickel

„Etwas zu ändern, bedeutet oft auch, seine Komfortzone zu verlassen“ - Teil 3 mit Theresia Sanktjohanser vom Familienbetrieb Quint

Mehr zum Traineeprogramm

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